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Uwe Jungclaus

stark werden - stark sein

Aktualisiert: 16. Apr. 2022

Fietes schnaetch #3

Ich bin wieder mal im Fitness-Studio und schwitze auf dem Fahrrad. Da erkenne ich Knut, einen Bekannten, der tüchtig Eisen stemmt. Ich begrüsse ihn mit den gleichermassen üblichen wie sinnfreien Worten: "Na, auch da?" Knut meint: "Man muss es eben nicht nur hier haben..." Dabei zeigt er auf seinen mächtigen rechten Bizeps. Gespannt warte ich auf den zweiten Teil dieser Aussage, die wahrscheinlich eine Weisheit beinhaltet. Nach einer perfekt getimten Kunstpause deutet Knut grinsend auf das linke muskuläre Gegenstück und sagt: "... sondern auch hier."

Anscheinend gibt es verschiedene Facetten von Kraft.


 

Resilienz

Merkmale

In der Schule, aber auch in der Familie, auf dem Spielplatz oder im Klub, geraten Kinder immer wieder in besonders herausfordernde Situationen – und gehen verschieden damit um. Die einen stellen sich der Situation oder können sie aushalten, sie lassen sich nicht unterkriegen und stehen wieder auf, sie haben und behalten eine positive Grundstimmung = sie sind resilient. Andere sind ängstlich, haben eine dünne Haut, trauen sich nichts zu, fühlen sich schnell bedroht = sie sind vulnerabel. Damit beschäftigt sich die Resilienzforschung.

Resilienz wird verstanden als innere Widerstandskraft, als psychische Robustheit. Durch diese innere Kraft kann man besser mit Enttäuschungen, Problemen oder Misserfolgen umgehen. Der Kinderschutz Schweiz fasst Resilienz folgendermassen zusammen. „Resilienz ist die Fähigkeit, mit schwierigen Lebenssituationen und Krisen umzugehen, dabei ein gutes Selbstwertgefühl zu bewahren und sich weiterzuentwickeln.“



Resiliente Menschen zeichnen sich aus durch ein positives Selbst-, Menschen- und Weltbild. Aber diese Form von ‘Urvertrauen’ allein reicht noch nicht aus, um gut auf schwierige Situationen zu reagieren. Es braucht dazu noch Fähigkeiten bzw. Kompetenzen.


Dazu gehört die Fähigkeit Probleme zu lösen: Analyse der Situation, Perspektivwechsel, Optionen erkennen und abwägen, Erfahrungen Oder Sozialkompetenz: Empathie, Teamfähigkeit, Kommunikation, Kompromissbereitschaft, Hilfsbereitschaft, Kritikfähigkeit u.v.m. Und nicht zu vergessen die Fähigkeit der Selbstregulation: Impulskontrolle, Handlungssteuerung, Gefühle wahrnehmen, kontrollieren und beeinflussen.


Faktoren

Es gibt schützende Faktoren. Die personalen Ressourcen umfassen Stärken der Person - Resilienzfaktoren. Die sozialen Ressourcen und sehr wirkungsvollen Schutzfaktoren zeigen sich im Umfeld. Extrem wichtig sind stabile, emotionale Beziehungen. Das Erziehungsverhalten daheim und in der Schule sollte warm und offen, aber auch strukturiert sein. Resiliente Personen im Umfeld geben positive Beispiele für Verhalten in belastenden Situationen. Hobbys und Freizeitaktivitäten vergrössern den Bereich, in denen man Stärke und Selbstwirksamkeit erfahren kann. Das Übertragen von altersentsprechender Verantwortung signalisiert Vertrauen und Zutrauen.


Analog gibt es auch belastende Faktoren, die in der Person selber liegen (kognitives Potenzial, Krankheit, Temperament uam). Sie werden Vulnerabilitätsfaktoren genannt. Andere Risikofaktoren liegen in der Umwelt der Person (Familiensituation, Klassenklima).


Untersuchungen haben ergeben, dass man nicht die Risiko- gegen die Schutzeffekte ‘aufrechnen’ und so das Verhalten in Belastungssituationen voraussagen kann. Die Widerstandskraft kann auch in verschiedenen Lebensabschnitten oder Lebensbereichen anders sein bzw. anders beansprucht werden.

„Damit wird der relationale, multidimensionale, kontextabhängige und zeitlich nicht stabile Charakter des Resilienzbegriffes deutlich.“ (Hinz 2011)


Förderung von Resilienz

Man geht heute davon aus, dass Resilienz nicht angeboren ist, sondern erlernt und verändert werden kann. Daraus ergibt sich ein Wirkungsfeld für die Schule. Schützende Faktoren, die in der Schule gefördert werden können, sind: „ausgeprägte soziale Fähigkeiten, hohe Lernerfolge, Effizienzerwartungen hinsichtlich der korrekten Ausführung eines Verhaltens, Entwicklung eines hohen positiven Selbstkonzeptes und Selbstwertgefühls hinsichtlich des eigenen Könnens sowie emotionale Sicherheit.“ (Hinz 2011, S. 270) Ein zentrales Element hierbei ist die Ressourcenorientierung, also Stärken stärken. In der Klasse sollte ein positive, wertschätzende und hilfsbereite Grundstimmung herrschen.

Resilienz lässt sich nicht gesondert oder innerhalb eines Projektes herstellen oder fördern. Dazu bedarf es einer Grundhaltung im Unterricht. Der Erzieherkanal (Erzieherkanal 2021) beschreibt „6 Säulen der Resilienz.“

I. Wenn Schülerinnen und Schüler Erfolge auf ihr eigenes Handeln und Verhalten zurückführen können, dann erleben sie dadurch Selbstwirksamkeit. Das eigene Handeln hat eine Wirkung und einen Einfluss. „Ich kann mit meinem Handeln in der Umwelt etwas erreichen und beeinflussen.“ Diese Erfahrungen (vgl. auch Extensionsgedächtnis) sind nicht nur im Zusammenhang mit Resilienz elementar wichtig, sondern auch als Einflussfaktor für die Lernmotivation. Eine positive Selbstwirksamkeitserwartung bedeutet auch mehr Selbstsicherheit und Mut beim Anpacken von neuen Herausforderungen.

II. Resiliente Schülerinnen und Schüler nehmen ihre Emotionen wahr. Sie können sie auch benennen und vor allem regulieren. Wenn ihnen das alleine nicht gelingt, dann können sie sich Hilfe holen oder kennen Handlungsalternativen.

III. Lernende sind immer Teil einer Gruppe von Menschen (Familie, Klasse, Peers, Mannschaft u.v.m.) Soziale Kompetenzen helfen, dass man mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen und unterhalten kann, dass man mit anderen zusammenarbeiten kann, dass man auch Bedürfnisse und Gefühle der anderen wahrnehmen kann, dass man Hilfe holen und anbieten kann.

IV. Um sich im sozialen Umfeld sicher bewegen zu können, sind auch die Fähigkeiten der Selbst- und Fremdwahrnehmung von grosser Bedeutung. Dadurch kann man nämlich abschätzen, welches Verhalten welche Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

V. Eine weitere Säule lehnt sich ganz nah an die PSI Theorie an. Es gibt problematische Situationen, die in gleicher oder ähnlicher Form wiederholt vorkommen. Die gemachten Erfahrungen (Extensionsgedächtnis) bilden die Basis für das gewählte Problemlöseverhalten. Man kann also aus vergangenen Situationen lernen. Um auf den Erfahrungsschatz zugreifen zu können, muss man die Emotionen regulieren können. Oft braucht es auch noch eine Portion Selbstsicherheit, um das Verhalten auch wirklich zu zeigen.

VI. Situationen vorausschauend einschätzen zu können, ist auch sehr hilfreich. Man kann Stresssituationen eventuell vermeiden oder aber sich im Voraus schon Bewältigungsstrategien zurechtlegen.



Die 6 Säulen der Resilienz findet man auch etwas anders formuliert in folgendem Zitat:

„Als protektive Faktoren, die Kinder widerstandsfähig machen und ihre Entwicklung schützen und stützen, gelten u.a. Selbstwirksamkeitserwartungen und Selbstkonzept sowie Empathie als das Wahrnehmen und Verstehen von Gefühlen anderer, Emotionsregulation und hohe soziale Kompetenzen.“ (Martschinke und Frank 2015)


„Sozialkompetenz und emotionale Kontrolle sind lernbar, aber nur schwer lehrbar.“ (Korte 2010) Das bedeutet, Kinder und später auch Schülerinnen und Schüler müssen Situationen erleben, in denen diese Qualitäten nötig sind. Überbehütung, zu viel Ängstlichkeit und Sorge verunmöglichen diese Lernmöglichkeiten zur Entwicklung des Selbst. Natürlich können die Kinder nicht jede Situation ohne Hilfe bewältigen. Sie dürfen und sollen Hilfe holen – aber sie sind dann in einer aktiven Rolle. Wenn die Hilfe zu früh und ungefragt von aussen kommt, dann ist das Kind passiv. Im schlimmsten Fall kommt es dann zu einer erlernten Hilflosigkeit.


Das Selbstbild (die emotional gefärbte Gesamteinschätzung seiner Selbst), die Selbstwirksamkeit (die Überzeugung, der Anforderung entsprechend handeln zu können) und das Selbstkonzept (das konkrete Wissen über das eigene Können) sind also Faktoren, die sich sowohl proaktiv auf die Motivation auswirken als auch reaktiv auf die Bewältigung belastender Situationen. Deshalb fordert Hinz (2011)„in zunehmend heterogen zusammengesetzten Lerngruppen ist es Aufgabe der Grundschullehrkräfte, jedes Kind in seinen Phasen erhöhter Vulnerabilität zu begleiten und es durch die Erfahrung von Kompetenz und Selbsterleben zu stärken.“ Ergänzend findet man weitere Elemente beim Kinderschutz: Vertrauen und Zutrauen schenken, wertschätzende Kommunikation, Struktur und Orientierung durch Erziehung, unterstützende Atmospäre


Obiger Text entspricht dem Kapitel 8 von "Lernen und Persönlichkeit"


 

Was will ich damit sagen?

Man kommt nicht stark (resilient) auf die Welt - aber man kann es werden. Und die Schule trägt ihren Teil dazu bei.


Willst du mir etwas sagen? Schreibe gerne an fiete-clausen@mail.ch

 

Literatur

  • Erzieherkanal - Wissent, Theorien & Info (Hg.) (2021): Was ist Resilienz. 6 Säulen der Resilienz. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=TObltoo0KW4, zuletzt aktualisiert am 28,03.2021, zuletzt geprüft am 25.03.2022.

  • Hinz, Renate (2011): Grundschulkinder stärken - positive Selbstzuschreibungen als Schutzfaktor. In: Frank Hellmich (Hg.): Selbstkonzepte im Grundschulalter. Modelle, empirische Ergebnisse, pädagogische Konsequenzen. Stuttgart: Kohlhammer (Schulpädagogik), S. 266–278.

  • Kinderschutz Schweiz: Was Kinder stark macht. Online verfügbar unter https://www.kinderschutz.ch/eltern-und-erziehungsberechtigte/resilienz, zuletzt geprüft am 29.03.2022.

  • Martschinke, Sabine; Frank, Angela (2015): Eine starke Reise mit der Klasse. "starke Kinder" in der Grundschule - ein Programm zur Persönlichkeitsförderung. 1. Auflage. Augsburg: Auer (Grundschule).

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