top of page
Uwe Jungclaus

Hüther und der 'Club der toten Dichter'

Aktualisiert: 23. Feb. 2023

Was hat der Hirnforscher Hüther mit dem 'Club der toten Dichter' zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nichts. Ich habe aber einen zweiten Blick geworfen und durchaus Parallelen entdeckt.


 

"Carpe diem!", ruft der Lehrer John Keating im Buch 'Club der toten Dichter' seinen Schülern zu. "Nutze den Tag! Macht etwas Ungewöhnliches aus eurem Leben!" (S. 30) Und warum? "...weil wir Nahrung für die Würmer sind, Jungs! Weil wir Frühling, Sommer und Herbst nur in begrenzter Anzahl erleben werden. Es ist kaum zu glauben, aber eines Tages wird jeder Einzelne von uns aufhören zu atmen, wird erkalten uns sterben!" (S. 29)



Im Welton Internat, einer Privatschule in den USA im Jahre 1958, werden junge Männer für Studienplätze an renommierten Eliteuniversitäten und somit auf erfolgreiche Karrieren 'vorbereitet'. Der Rektor schwört die Neueintretenden dann auch gleich schon ein: "Der Schlüssel zu eurem Erfolg ruht auf vier Säulen." (S. 9) Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung "In Welton werden Sie härter arbeiten, als Sie je im Leben gearbeitet haben. Als Lohn wirkt Ihnen der Erfolg, den wir alle von Ihnen erwarten." (S. 10)


Damit sind die Erwartungen (vor allem der Eltern) klar ausgesprochen, die Ziele definiert und das Vorgehen klar: Drill, Druck, pauken, Leistungsmaxime, Disziplin, survival of the fittest

Von Spass und Genuss, von Persönlichkeit und Gefühl ist nicht die Rede. Wenn da nicht dieser aussergewöhnliche und unbequeme Englischlehrer Keating gewesen wäre. Der hat den jungen Männern den Floh ins Ohr gesetzt, sie sollen in sich erkunden, was sie im Leben sein bzw. werden wollen. Er hat sie ermuntert, die starren Fesseln von äusseren Erwartungen abzustreifen und ihr 'Element' (Ken Robinson) zu suchen.


 

70 Jahre später, und die Welt hat sich rasant verändert. Die Schule auch, aber bei weitem nicht so schnell. Allerorten finden Diskussionen statt, welche Aufgaben die Schule übernehmen muss. Hüther beantwortet diese Frage wie folgt:

"Wer gelernt hat, mit sich selbst klarzukommen, sich im Leben zurechtzufinden und es gemeinsam mit anderen zu gestalten, wird sich mit Freude und Leichtigkeit dann auch all das spezifische Wissen und Können sowie die dazugehörigen Kompetenzen aneignen, um die in seiner Lebenswelt und zu seiner Lebenszeit anfallenden spezifischen Aufgaben zu meistern oder einfach mühelos zu erledigen." (S. 15)

Es geht also primär nicht um Pauken von Inhalten und das Schreiben von Prüfungen. Und er definiert auch das Ziel anders.

Möglicherweise kommt es gar nicht darauf an, erfolgreich zu sein. Möglicherweise ist es, um wirklich glücklich zu sein, vielwichtiger, dass einem möglichst vieles im Leben gelingt. Möglicherweise geht es gar nicht um den Erfolg, sondern um das Gelingen." (S. 17)

Und dann schreibt Hüther noch einen Satz, für den ihn Mr Keating gefeiert hätte.

"Eine Ausbildung, also der Erwerb von Wissen und Können, auch von Kompetenzen, ist zu wenig, um sein Leben so gestalten zu können, dass es wirklich gelingt." (S. 18)

Die Co-Autoren Heinrich und Senf haben sich dem Thema 'Bildung für Morgen' aus einem anderen Blickwinkel genähert. Sie sind der Meinung, dass die Schule allein nicht leisten kann, was junge Menschen zur Persönlichkeitsentwicklung brauchen. Einen sehr wertvollen Dienst können da Mentoren leisten.

Kindern als Subjekte ihres Lebens zu begegnen, ernst zu nehmen, was sie wollen und was nicht, ihrem Schöpferdrang seinen Lauf zu lassen, ihrer Bewegungsenergie Raum zu geben." (S. 123)
"Mentoren laden ein, ermutigen und inspirieren ihre Mentees, Herausforderungen anzupacken." (S. 137

Und was anderes war Mr Keating für seine Schüler?

Jugendliche sollen Herausforderungen selber wählen, anpacken und durchziehen. Die Autoren nennen dazu drei Impulse: Anliegen, Anlass und Anregung.

Neils Anliegen war es, Schauspieler zu werden. Und Knox wollte nichts mehr, als die Liebe von Chris erobern. "In jedem Anliegen schlummert der Antrieb zum Aktivwerden." (S. 147) Die Theateraufführung im Nachbardorf war für beide Jungs der Anlass, aktiv zu werden. Und die Anregung kam zum einen Teil von innen, zum anderen Teil aber von ihrem Mentor, Mr Keating.

"Nutze den Tag! Macht etwas Ungewöhnliches aus eurem Leben!" (S. 30) Und wie findet man dieses gewisse Etwas, das ausserhalb des Gewöhnlichen liegt?

Mit Selbstgewissheit meinen wir die Erkenntnis, wie man selbst beschaffen ist und was für ein Mensch man in dieser Welt sein will." (S. 158)

Hier geht es darum, die Wünsche und die Motive zu erkennen, die einen treiben, die Begabungen und Bedürfnisse, die Wertvorstellungen und Vorlieben.


 

Leider endet die Geschichte tragisch: Neil nimmt sich das Leben, weil ihm sein Vater seine Leidenschaft verbietet. Und Mr Keating wird von der Schule verwiesen unter dem Vorwurf, die Jugendlichen verdorben zu haben.

Wir können nur spekulieren, ob die Kandidaten für den Club der toten Dichter später ein erfolgreiches oder ein gelingendes Leben geführt haben.


 

Eine ausführlichere Zusammenfassung von Hüthers Buch findest du unter


Hüther, G., Heinrich, M., Senf, M. (2020, 2. Auflage): "#education for future. Bildung für ein gelingendes Leben"; Goldmann, München

Kleinbaum, N.H. (1990); "Club der toten Dichter"; Bastei Lübbe, Köln

74 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page